Warum die Energiewende ins Stocken gerät - und was wir dagegen tun können
Die Energiewende steht vor Herausforderungen: Veraltete Infrastrukturen, lange Genehmigungsverfahren und Lieferkettenabhängigkeiten bremsen den Fortschritt. Gleichzeitig erhöhen Klimarisiken und Netzengpässe in Deutschland den Handlungsdruck. Um wirksam zu werden, braucht es eine schnellere Integration erneuerbarer Energien, sektorübergreifende Zusammenarbeit und mutige regulatorische Maßnahmen – bevor es zu spät ist.

Die eigentliche Herausforderung der Energiewende ist nicht die Technologie, sondern die Integration
Der Übergang von einer zentralen, auf fossilen Brennstoffen und Kernenergie basierenden Energieversorgung, zu einer dezentralen, mit großen Anteilen an erneuerbaren Energien und einer konsequent “digital-first” ausgerichteten Infrastruktur, ist einer der komplexesten unserer Zeit. Doch in Deutschland wird das Energienetz selbst zum Engpass. Windenergie wird vor allem im Norden erzeugt, während sich die industrielle Nachfrage auf den Westen und Süden konzentriert - und der Netzausbau geht aufgrund von aufwändigen Genehmigungsverfahren und lokalem Widerstand bisweilen bedauerlich langsam voran.
Gleichzeitig zeigen Innovationen in den Bereichen KI, (I)IoT und Cloud Computing Lösungen auf, haben aber mit der Herausforderung zu kämpfen, in einem stark regulierten Sektor zu skalieren (gerade im Kontext “Vom Proof of Concept zur Industrialisierung”). Vor allem die Dynamik in der Versorgung mit erneuerbaren Energien - Wind und Solar - erfordert intelligentere, anpassungsfähigere Systeme. Die Digitalisierung bietet Lösungen: Echtzeitdaten, vorausschauende Analysen und KI-gestützte Automatisierung können dabei helfen, Schwankungen zu bewältigen und die Netzleistung zu optimieren.
Technologie allein kann jedoch nicht die fundamentalen Herausforderungen der regulatorischen Fragmentierung und der sektorübergreifenden Koordinationsmängel überwinden. Ohne klare Marktanreize, beschleunigte Genehmigungsverfahren und einen übergreifenden Ansatz für die Netzmodernisierung, werden auch die besten Innovationen nur schwer eine echte Wirksamkeit entfalten können.
Was der Energiesektor von Mobilität und digitaler Transformation lernen kann
Die Energiewende findet nicht isoliert statt. Die Überschneidung von Energie mit Mobilität, Smart Cities und industrieller Automatisierung schafft Möglichkeiten für neue Kollborations-Modelle (Sektorenkopplung). Trotz sinkende Verkaufszahlen im Bereich EVs, übt die Verkehrswende in Deutschland Druck auf das Stromnetz aus, da die Nachfrage nach Ladestationen für Elektrofahrzeuge schneller als erwartet steigt und sich unser Mobilitätsverhalten auch in Zukunft weiter an die Anforderungen nach CO2 Neutralität anpassen wird.
Was lernen wir daraus? Agilität und Zusammenarbeit (Cross-Industry) ist wichtig. Die Automobilindustrie - getrieben durch Elektrifizierung und die regulatorischen Anforderungen - war trotz Transformationsdruck in der Lage, den Ausbau einer Ladeinfrastruktur in enger Zusammenarbeit verschiedenen Stakeholdern zu bewerkstelligen. Im Gegensatz dazu verläuft die Energiewende in Deutschland aufgrund zersplitterter Zuständigkeiten und fehlender digitaler Reife nur langsam.
Lean- und Co-Creative-Methoden aus der Softwareentwicklung können Unternehmen dabei helfen, Lösungen schneller zu testen, zu iterieren und zu skalieren. Energieunternehmen müssen aber auch aus veralteten Strukturen ausbrechen und sektorübergreifende Partnerschaften eingehen, um eine schnellere Umsetzung zu erreichen.
Drei notwendige Veränderungen zur Beschleunigung der Energiewende
Die Zukunft der Energiesicherheit und -resilienz hängt von drei entscheidenden Veränderungen ab:
- Ein Wechsel von einer starren, zentralisierten Infrastruktur zu adaptiven, dezentralen Energiesystemen. Das deutsche Stromnetz muss sich von einem statischen System zu einem digitalen, Daten- und KI-gesteuerten Netz entwickeln, das Angebot und Nachfrage in Echtzeit ausgleichen kann. Interkonnektoren, Flexibilitätsmärkte und KI-gestützte Netzoptimierung sind entscheidend für die Vermeidung von Engpässen und ermöglichen neue Geschäftsmodelle.
- Ein Überdenken der rechtlichen Rahmenbedingungen. Die politischen Entscheidungsträger müssen die Genehmigungsfristen verkürzen, Investitionsanreize vereinfachen und flexible, innovationsfreundliche Regelungen schaffen, damit sich neue Energiemodelle durchsetzen können. In Deutschland dauert das Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien immer noch 5-7 Jahre, verglichen mit 2-3 Jahren in anderen führenden Märkten.
- Stärkerer Fokus auf menschenzentrierte Lösungen. Ohne erschwingliche Energie wird die öffentliche Unterstützung für die Energiewende erodieren. Die Energiewende muss so gestaltet werden, dass sie transparent und zugänglich ist und sich an den gesellschaftlichen Bedürfnissen orientiert, um eine gerechte Verteilung von Kosten und Nutzen zu gewährleisten.
Wie Unternehmen Strategien zur Energiewende in die Tat umsetzen können
Die Zeit der Diskussionen ist vorbei - was zählt, sind Taten. Die jüngste deutsche Klimarisikobewertung warnt, dass dem Land ohne strukturelle Reformen eine Verschlimmerung der wirtschaftlichen Schäden, ein Zusammenbruch von Infrastrukturen und wachsende soziale Spannungen wegen der Energiekosten drohen.
Unternehmen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu:
- Investitionen in Netz-freundliche Lösungen – wie flexibles Lastmanagement und lokale Energiespeicherung, um den Druck auf die Infrastruktur zu verringern.
- Drängen auf Anpassungen der Regulatorik, die eine schnellere Projektdurchführung ermöglichen.
- Entwicklung transparenter Energiekostenmodelle, um Erschwinglichkeit und öffentliche Akzeptanz zu gewährleisten.
Alle Beteiligten und Beteiligungsgruppen - Stromerzeuger, Netzbetreiber, Industrie, staatliche Stellen und Startups - müssen zusammenkommen, um einen systemischen Wandel voranzutreiben.
Wir dürfen nicht auf den perfekten Moment warten. Der Moment zum Handeln ist jetzt.
- Sven-Anwar BibiManaging Director, Germany